Für J.M.
Magdeburg, im Januar 2021
Lieber J.,
24 Jahre. 24 Jahre ist es in etwa her, als wir gemeinsam in den Kindergarten gingen. Oft war ich danach bei dir. Wir haben gespielt, fantasiert, uns Welten erdacht, und uns versteckt, als mich meine Mutter abholen wollte. Erinnerst du dich? Unter dem Bett deiner Eltern haben wir uns versteckt oder im Badezimmer. Sie hat uns immer gefunden. Immer musste ich mit ihr gehen. Dich verlassen, zurücklassen.
24 Jahre später sitze ich nun in Magdeburg. Es ist Mitte Januar, draußen bricht der Winter herein, es windet, regnet, schneit und gefriert. Ich sitze im Stuhlkreis auf der kleinen Bühne. Um mich herum nimmt der größte Teil des Produktionsteams Platz. Leonhard, der Regisseur, Jonathan, Jana und Richard sowie Anke. Wir können durch die FFP2-Masken nur unsere Augen sehen, aber jedes Augenpaar strahlt für sich. Denn es geht los. Wir dürfen proben. In den nächsten zwei Monaten wird ein Stück entstehen, das hoffentlich bald auch der Öffentlichkeit gezeigt werden darf.
24 Jahre ist ein Zeitraum, der für Stück von enormer Wichtigkeit ist. 24 Jahre ist es her, als Frank das letzte Mal seine Jugendliebe getroffen hat. 24 Jahre später steht sie vor der Tür und fordert die Einlösung seines Versprechens: sie immer zu lieben. Die Welt gerät ins Wanken.
Ich werde dich in den nächsten Wochen mitnehmen, werde schreiben und berichten, dir meinen Alltag näherbringen. Ich packe eine Kiste mit Erfahrungen für dich. Vielleicht erfreut es dich, vielleicht hilft es dir beim Erinnern. 24 Jahre, was hast du alles erlebt?
Dieses Probentagebuch begleitet die Produktion zu „Die Frau von früher“ von Roland Schimmelpfennig in der Regie von Leonhard Schubert für Menschen ab 16.
Nähere Informationen zum Stück und den Aufführungsterminen finden Sie hier.
05.03.2021
Lieber J.,
heute ist die AMA. Alle mit Allem. Die erste Probe mit kompletter Technik, mit Kostümen, mit Maske für die Darsteller*innen. Es ist der erste Tag mit allem und gleichzeitig der vorerst letzte Probentag. Diese Ansage war für das gesamte Team, das gesamte Theater auch ein kleiner Schlag ins Gesicht. Besonders für das Team um Regie und Darsteller*innen bedeutet der vorzeitige Abbruch der Proben ein Herausgerissen werden aus Denkprozessen und von der Verinnerlichung der Abläufe hinter der Bühne. Nach diesem Durchlauf werden die Kostüme, die Puppen und Requisiten in Kisten gepackt und sicher verstaut, bis zum Tag X, an dem die letzte Probenwoche neu angesetzt und im Anschluss endlich vor und für Publikum gespielt wird. Somit heißt es auch hier: Packen, verstauen, (vorerst) Abschied nehmen.
Für mich persönlich bedeutet das auch, dass ich mit diesem Tag dieses Buch schließe. Es war schön, meinen Alltag mit dir teilen zu können, Erinnerungen aufzurufen und neue zu formen.
Mach es gut, auf bald, vergiss mich nicht. A.
04.03.2021
Für dich soll’s weiße Rosen regnen!?
03.03.2021
Back to the Nineties. Mehr Plateau geht immer!
02.03.2021
Guten Morgen oder: die Yogi-Weisheit des Tages! Was das wohl zu bedeuten hat…!?
Lieber J.,
weißt du, zu wem du gehst, wenn du Licht brauchst? Wenn kurzfristig ein Scheinwerfer seinen Geist aufgibt oder der Innenhof in neuem Licht erstrahlen soll? Ich gehe zu Enrico. Genau wie die meisten meiner Kolleg*innen. Enrico ist Beleuchtungsmeister, und das am Puppentheater Magdeburg schon seit über 19 Jahren. Annahme dafür, dass er weiß, wo wie viele Lampen hängen und welche Lichtfilter man für welche Stimmung braucht. Auch bei dieser Inszenierung übernimmt er die Lichteinrichtung. Dafür hat er sich mit Leo schon vor der offiziellen technischen Einrichtung getroffen, um über Grundstimmungen und besondere Herausforderungen zu sprechen. Nun findet diese statt und das bedeutet, dass man Enrico aktuell in den Probenpausen meist auf einer Leiter im kleinen Saal, beim Ein- und Umhängen von Scheinwerfern findet. Die Chance musste ich nutzen. Denn, soviel ist klar: Enrico bringt uns Licht ins Dunkel des Stücks!
01.03.2021
Noch ist er konzentriert…
Lieber J.,
das Theater schläft nicht. Auch am Montag ist es wieder in Betrieb. Allen voran Jonathan. Er ist bei der Produktion Bühnenbildner, Ausstatter und hat die Kostüme entworfen. Zum zweiten Mal arbeitet er zusammen mit Puppenbauerin Magda und Regisseur Leo. Mit ihm habe ich bei meiner ersten Dramaturgie am Puppentheater zusammengearbeitet, mit ihm schließe ich mein aktuelles Engagement am Haus.
Jonathan ist einer dieser Kollegen, der immer präsent ist, ohne sich in den Vordergrund zu drängen. Jemand, der zuhört, wach ist, der aus der Not eine Tugend machen kann und mit Ideenreichtum und Empfindsamkeit arbeitet. Ich treffe Jonathan im Atelier, wo er gerade kleine Umzugskartons baut. Ob er mir auch welche bauen kann, frage ich. Er lacht. Wir kommen ins Gespräch.
… aber er kann auch anders.
Was für eine Bühne begegnet uns bei „Die Frau von früher“ und welche Funktionen nimmt sie ein?
Die Bühne in der Inszenierung funktioniert auf verschiedenen Ebenen, spielt stark mit Kontrasten und ist in ihrer Ausstattung sehr nüchtern. Wichtig war mir eine gewisse Form der Künstlichkeit und Zerbrechlichkeit zu erzeugen. Die Guckkastenbühne zeigt den Hausflur einer Wohnung, in der die Figuren leben. Die schwarze Rahmung schafft ein hohes Maß an Konzentration und lässt die kupferfarbene Bühne wie ein Gemälde wirken.
Wichtig war uns aber auch, innerhalb der Bühne eine Metapher zu finden und wahrnehmbar zu machen, die über den Stückinhalt hinausgeht. Diese Metapher tritt als Festtafel in Erscheinung, die sich im Laufe des Stücks verändert. Sie kann Hochzeitstafel sein, aber auch Beerdigungstafel. Sie stellt für mich einen Ort dar, an dem sich Menschen versammeln, um gemeinsam zu feiern – egal ob aus gutem oder traurigem Grund. Als Stillleben wirkt sie wie der Versuch, einen Moment wie ein Foto festzuhalten. Es ist der vergebliche Versuch, den Status der Liebe oder den Status der Schönheit behalten zu wollen. Für mich ist das Bild des sich stets verändernden Tisches eng an die Beziehungsrealität geknüpft, in der nicht eben alles rosarot ist, sondern in der es neben euphorischen Momenten auch sehr viel dramatische gibt. Beziehung ist geprägt von verschiedenen Seelenzuständen. Die Bühne wird für mich zu einem Spieler, indem der Tisch einen eigenen Blick auf die Geschehnisse wirft.
Also ist die Bühne für dich mehr nur als ein Raum?
Ja, denn sie trägt eine Idee, die unabhängig von der Geschichte funktioniert, die darin erzählt wird. Sie bringt das Bühnengeschehen auf eine andere Ebene. Diese Rolle der Bühne darf aber meiner Meinung nach nicht im Vordergrund stehen, da die Figuren und das, was sie zu sagen haben, wichtiger sind.
Das Stück ist sehr tiefgründig und vielseitig. Bei jedem Lesen entdecke ich neue Motive, Themen, Konflikte und Wünsche der Figuren. Dieses Vielschichtigkeit wollte ich auch in die Bühne tragen und den Zuschauer*innen viele Möglichkeiten des Entdeckens geben, die einfach die verschiedenen Ebenen des Stücks in ihrer Breite erfahrbar machen. Das Ziel ist erreicht, wenn die Zuschauer*innen für sich selbst, Dinge herauslesen können.
Können wir in den Kostümen auch so viel entdecken?
Natürlich! Bei den Handpuppen war einiges von Schimmelpfennig schon vorgeschrieben. Wir bekommen intimen Einblick in den Alltag der Familie, den das Kostüm unterstreicht, indem Claudia mit Handtuch und Bademantel und Frank in Unterwäsche auftritt. Hier spiegelt sich das Thema „Zerbrechlichkeit“ auch im Kostüm wieder.
Das Kostüm der vier Darsteller*innen ist für mich in Abgrenzung dazu eine Form der Metapher für Macht und Schicksal. Puppen werden von Menschen geführt und die Spieler*innen beweisen mit ihrem Verhalten ihre Macht über das Schicksal der Figuren.
Schön wäre es, wenn diese Kartons für mein Hab und Gut reichen würden. Aber in die Kisten, die Jonathan gerade in diesem Mini-Format im Atelier baut, passen nicht einmal meine Radiergummis.
26.02.2021
Lieber J.,
wie die Figuren im Stück, so packe auch ich Kisten. Ich bin umgeben von braunen großen Kartons, von kleinen Päckchen, von Koffern und Rucksäcken. Mein Zimmer ist ein Meer aus Dingen, an denen die Erinnerungen kleben – wie Honig. Der Abschied der Familie im Stück wird auch zu meinem Abschied, denn auch ich gehe, verlasse die Stadt, die mittlerweile auch Zuhause geworden ist.
Es fühlt sich auch ein bisschen schal an, ich bemitleide die fleißigen Umzugshelfer, die meine Kisten schleppen müssen. Man kann so viele Dinge mitnehmen, wie man möchte, trotzdem bleibt immer etwas zurück.
Wie viele Abschiede, wie viele Neuanfänge hattest du? Welche Dinge nimmst du immer mit?
25.02.2021
Lieber J.,
vielleicht hast du von den Bildern, die ich dir bisher geschickt habe, schon einen Eindruck von der Bühne bekommen können. Ich finde sie in ihrer Schlichtheit besonders, da sie auf vielen Ebenen funktioniert, sie dabei sehr tiefsinnig ist. Entworfen hat sie Jonathan. Wie im Theater üblich, hat den Bau der Bühne dann aber die Tischlerei übernommen. Im Puppentheater bedeutet Tischlerei = Stephan.
Das erste Mal kennengelernt habe ich ihn am sogenannten Laberfeuer, das während des BLICKWICHSEL-Festivals 2018 im Hof des Puppentheaters wärmte und die Besucher*innen zum nächtlichen Austausch vereinte. Stephan erzählte mir als Magdeburg-Neuling am Feuer von Buckau, von der raschen Veränderung des Viertels, seiner Arbeit als Künstler und den Künstler*innen der Stadt. Damals war es eine kurzweilige und eindrucksvolle Begegnung, mittlerweile ist man sich durch die Zusammenarbeit bei sämtlichen Produktionen am Haus oder interessanten Tür- und Hof-Gesprächen besser bekannt. Ich möchte ihn dir gerne vorstellen. Ohne ihn wäre sicherlich nicht nur das Bühnenbild ein anderes geworden, ohne ihn wäre das Theater ein anderes.
24.02.2021
Nach getaner Arbeit: einfach mal abhängen!
Lieber J.,
ich glaube, die meisten können nicht nachvollziehen, was es bedeutet, Puppenspieler*in zu sein. Auch heute bleibt mir nur Bewunderung. Kennst du eine*n Puppenspieler*in? Du müsstest die Beiden einmal sehen und erleben. Mitunter halten und spielen sie jeweils gleichzeitig zwei Puppen, deren Charaktere, Sprache und Bewegungen unterschiedlicher nicht sein könnten. Dabei müssen sich Jana und Richard auf engstem Raum koordinieren und arbeiten in ständiger körperlicher Verschränkung. In meinem Kopf spielen die beiden das Aktionsspiel Twister.
23.02.2021
Run, Forrest, run!
19.02.2021
Lieber J.,
willkommen im Heimkino 2.0! Wie verbringst du deinen Freitagabend in Corona-Zeiten? Spazierst oder liest du? Bist du alleine oder in Gesellschaft? Bist du einsam?
Bei uns im Team ist durch den Wegfall der Abendprobe eine neue Form der „Themenbeschäftigung“ entstanden. Dazu verwandelt sich die Bühne ins Heimkino und gemeinsam (auf freiwilliger Basis natürlich!) schauen wir Filme, die uns an den Stoff des Stückes erinnern. Im Anschluss daran wird reflektiert und diskutiert, es werden Vergleiche zum Stück aufgestellt. Es fühlt sich fast an wie „richtiges“ Kino … Film ab!
18.02.2021
Lieber J.,
heute soll der erste Stückablauf stattfinden. Natürlich wird hier unterbrochen, Szenen werden wiederholt oder anders arrangiert. Trotzdem ist das Ziel klar definiert: Sich einmal „durchkämpfen“, die einzeln geprobten Szenen zusammenfügen und vor allem Musik und Spiel szenenübergreifend zusammenbringen. Vor solchen Proben ist natürlich eine gewisse Form der Anspannung zu spüren, aber es liegt auch Vorfreude in der Luft. Die Spieler*innen haben die Möglichkeit, sich mehr in die Figuren und die Geschichten hineinzuwerfen und das bisher Erarbeitete wird sichtbar. Es sind die Proben, in denen überprüft wird, ob sich szenische Abläufe einlösen, Vorgänge der Figuren und ihre Beziehungen deutlich werden.
In Vorbereitung darauf, habe ich mit Leo gesprochen. Für mich ist es die erste Zusammenarbeit mit ihm als Regisseur und ich schätze den intensiven Austausch, den wir haben. Im Gespräch kamen wir vom Groben ins Feine, und vom Detail zurück zum großen Ganzen. Der Austausch mit ihm beflügelt, wir bringen einander die eigene Wahrnehmung näher, sodass immer neue Dinge und Themen aufleuchten. Manchmal wird das Gespräch aber auch zu einer Art Interview. Einige Schnipsel aus dem Gespräch habe ich dir aufgeschrieben.
Das Bild hat neulich meine Kollegin Anjelique gemacht, als sie uns in den Proben besucht hat. Für mich spiegelt es wunderbar Leos aufmerksame Arbeitsweise und die konzentrierte Stimmung auf den Proben wider.
Warum hast du dich für dieses Stück entschieden/was reizt dich an dem Stoff?
Ich kenne das Stück schon seit meinem Studium und finde den inhaltlichen Aufbau sehr spannend. Wir erleben einen harmlosen Alltag, der immer mehr in eine Extremsituation abrutscht. Es ist reizvoll, dass das Stück dabei über die Realität hinausgeht, diese etwas entrückt. Von Beginn an spielt Autor Roland Schimmelpfennig mit der Wahrnehmung der Leser*innen, geht ans Eingemachte und zeigt menschliche Abgründe auf.
Neulich hat mir gerade ein Bekannter erzählt, dass er zu Weihnachten eine Karte seiner ersten Freundin im Briefkasten hatte. Durch die Blume hat sie darin zugegeben, dass sie damals einen Fehler gemacht und sich falsch entschieden hat. Und ähnlich ist eben bei „Die Frau von früher“ die groteske Ausgangssituation, die Schimmelpfennig aber auf die Spitze treibt, dramaturgisch wunderbar zuspitzt.
Das klingt ja fast ein wenig nach Midlife-Crisis. Spielt die für dich in dem Stück eine Rolle?
Ich habe kürzlich erfahren, dass der Begriff ein Modewort ist, und hauptsächlich auf mittelalte weiße Männer in der westlichen Hemisphäre Anwendung findet.
Resümee-Krise ist da ein universellerer Begriff. D.h. durch das resümieren über die Vergangenheit und das vermeintlich vergangene Ich, stürzt der/die Betroffene in eine Krise, die die gegenwärtige Lebenssituation in Zweifel zieht.
Bei Romy, bei Frank und bei Claudia geschieht eben das, beziehungsweise werden die damit verbundenen Fragen aufgeworfen: Was ist aus mir geworden? Wann bin ich falsch abgebogen? Das heißt: Wohin ist mein altes Ich verschwunden?
Warum hast du dich für eine Umsetzung mit Handpuppe entschieden?
Wir waren uns im Haus schnell einig, dass sich der Stoff wunderbar mit Handpuppe umsetzen lässt.
Du kannst sie dir schnappen und losspielen. Die Form ist direkt und unmittelbar, du kannst ohne viel Aufwand viel Verschiedenes ausprobieren und hast eine Bandbreite an körperlichen Ausdrücken, die schnell herstellbar sind. Andere Mittel hingegen, die im Schauspiel zur Verfügung stehen, funktionieren mit Handpuppe nur bedingt oder gar nicht. Hier müssen Übersetzungen in die Form gefunden werden und hier wird es dann spannend.
Während des Studiums habe ich im Zuge meiner ersten Regiearbeit schon einmal mit Handpuppen gearbeitet, weshalb ich mich persönlich sehr auf die erneute Auseinandersetzung mit dieser Puppenform gefreut habe.
Musik spielt in deiner Inszenierung eine große Rolle. Welche Funktion nimmt sie ein?
Musik ist für mich im Theater immer bedeutend, denn sie ist unmittelbar, direkt, sie erreicht uns ohne zwangsläufig einen Umweg über den Verstand nehmen zu müssen. Mit ihr kannst du Szenen in einen bestimmten Kontext setzen, sie kommentieren, ihnen eine Temperatur geben. Und das fand ich auch für diese Inszenierung besonders wichtig. Im Stück nimmt sie eine besondere Stellung ein und bewegt sich auf einer höheren Ebene, als die teilweise alltäglich wirkenden Vorgänge. Sie gibt uns von Anfang an eine dunkle Vorahnung, ohne dass wir als Zuschauer*innen begreifen, wohin die Geschichte führt.
Um dies zu verdeutlichen und auch bei der Musik beim Prinzip des Handgemachten zu bleiben, habe ich mich für den Einsatz von Live-Musik entschieden. Für mich ist es das erste Mal, dass ich mit dieser Form arbeite und finde die Gegenüberstellung von einem Mann und einer Frau als Spielende mit einem Mann und einer Frau als Musizierende spannend.
17.02.2021
Alman-engineering
16.02.2021
Fit in die Woche – exklusives Aufwärmprogramm by Richard!
12.02.2021
Lieber J.,
schon wieder ist Freitag und somit sind wir wieder am Ende einer ereignisreichen Probenwoche angekommen. Diese war vom Wort Logistik geprägt. Vom Sortieren, Umsortieren und Aussortieren. Das Motiv des Umzugskartons ploppt dabei unweigerlich in mir auf und das nicht nur, weil die Puppen auf der Bühne viel mit ihnen agieren und umgehen müssen.
Zur Umsetzung dieses Stücks bedarf es einer guten Logistik. Schimmelpfennigs spannende zeitliche Sprünge, die kein chronologisches Erzählen der Geschichte vornehmen, sondern – wie Erinnerungen und Gedanken auch – sehr sprunghaft/unvermittelt sind, stellen das Team durchaus vor Herausforderungen.
Um überhaupt einen klaren Überblick von den Geschehnissen zu erhalten, hatte Leo entschieden, nicht stück- sondern zeitchronologisch zu proben. Insofern hat er all die „schönen Verschachtelungen Schimmelpfennigs“, wie er sie nennt, rausgenommen, damit die Figuren mit ihrem Verhalten nachvollziehbar werden. Am Dienstag hat Leo dann begonnen, die zeitliche Chronologie immer mehr aufzubrechen und die Schritte und Sprünge des Textes zu proben. Dies setzt wirklich neue Energien, neuen Frust und immer wieder neue Haltungen frei, die das Team auf Trab halten und die Vielschichtigkeit des Stücks und dem Text wieder einmal zeigen.
11.02.2021
Die Gefahr lauert hinten…!
09.02.2021
Lieber J.,
die Woche startet im Schneesturm. Auf dem Weg ins Theater habe ich geholfen, Autos auf die Straße zu schieben, habe im Geiste Schneebälle geformt, die ich gerne nach dir geworfen hätte und habe darüber nachgedacht, wie schnell die Natur unseren Alltag auf den Kopf stellen kann.
Ich habe Spuren im Schnee hinterlassen.
Ich habe unbetretene Flächen entdeckt, auf denen sich mein Schuh verewigt hat. Einen Abdruck geformt, der mittlerweile von neuem Schnee oder von anderen Schuhen verdeckt wird. Aber ich war da. Ist es nicht spannend darüber nachzudenken, wie wir tagtäglich solche Spuren hinterlassen? Auf dem Boden, beim Gegenüber, im Internet oder an den Geldstücken, mit denen wir zahlen? Was bleibt von uns? Wie viele Spuren hinterlassen wir unmerklich, indem wir Haare und Hautschuppen verlieren, indem unser Fingerabdruck an etwas kleben bleibt. Was machen diese Spuren mit uns und mit den anderen? Wohin führen sie?
05.02.2021
Lieber J.,
zum Gelingen einer Produktion braucht es viele Hände. Viele Hände, die arbeiten und unterstützen, viele Köpfe, die mitdenken, die Impulse geben. Viele dieser Hände, viele dieser Köpfe siehst du nicht, wenn du ins Theater gehst. Sie arbeiten hinter der Bühne, tigern wie ich tagtäglich durch den Bühneneingang und arbeiten vor allem in ihren Werkstätten. Auf der Bühne stehen sie wenn nur während des Probenprozesses – bevor sich der Vorhang hebt. Sie stehen hinter dem Glitzer der Vorstellung, aber sie sind da, wenn der Knopf abfällt oder die Birne durchbrennt. Still und doch präsent.
Eine dieser Köpfe ist Conny. Heute habe ich sie in ihrer Wirkungsstätte besucht. Conny heißt eigentlich Constanze Hoffmann. Seit zwei Jahren ist sie als einzige Schneiderin am Puppentheater tätig. Für mich ist sie eine der vielen guten Seelen des Hauses. Eine Kollegin, die mich morgens mit einem Lächeln begrüßt und derenUnterstützung und Hilfestellung ich jederzeit sicher sein kann – ob es um Kostümfragen, Reißverschlussreparaturen oder warme Socken geht.
04.02.2021
Frage des Tages: Wie probiert man einen schnellen Text langsam?
02.02.2021
Lieber J.,
heute war die erste szenische Probe mit den Musiker*innen. Anna und Pedro werden bei jeder Vorstellung live musizieren, Spannungsbögen schließen, Geräusche erzeugen.
Als Anna angefangen hat auf dem Xylophon zu spielen und ich die ganzen Instrumente sah, mit und auf denen die Beiden Töne und Rhythmen erzeugen, musste ich an unseren Musikunterricht im Kindergarten denken. Wie hieß nochmal die Frau, die uns in unserer kindlichen Neugier die Musikinstrumente näherbrachte? Frau G.?
Ich erinnere mich nicht.
Mochtest du diese Stunden im Gemeindesaal? Welches Instrument hast du gespielt? War es nicht die Trommel?
Irgendwie bin ich mir sicher, dass sie es war. Sie passt zu dir.
29.01.2021
Sie hat die Haare schön!
Behind the scenes: der Chef machte sich selbst ans Werk!
26.01.2021
Puppenschau
Lieber J.,
Magda, eigentlich Magdalena Roth, hat die Puppen für die Produktion gebaut. Zur Vorlage nutzte sie berühmte Persönlichkeiten. Erkennst du sie wieder?
Von ihren Gesichtern ausgehend hat Magda die Köpfe gegossen und modelliert. Noch sind sie ganz nackig. Sind aufgereiht und aufgespießt, ohne Körper und Kostüm. Ich muss direkt an Heinrich VIII. denken.
Die Gesichter der Handpuppen sprechen schon jetzt Bände, erzählen mit Falten und ergrautem Haar mit verträumten und abgeklärten Augen vom Leben und vom Wünschen.
20.01.2021
Lieber J.,
dieser Tag begann mit einem kleinen inneren Jubelschrei, nachdem ich mein E-Mail-Postfach geöffnet habe. Glaube mir, in aktuellen Zeiten kommt er selten. Aber heute hatte ich Post von Roland Schimmelpfennig! Dem Autor des Stücks!
Er hat auf meine Einladung zur Premiere reagiert und würde gerne kommen.
Dazu muss ich sagen, dass seine Stücke (also die, die ich kenne) von einer einzigartigen Ehrlichkeit und Stärke, Natürlichkeit und Tiefe sind. Er versteht es, Alltag spannend zu erzählen, ihn gleichzeitig so zu überzeichnen und uns in unserer eigenen menschlichen Absurdität bloßzustellen. Immer wieder wird die trockene Unterhaltung zum Schockerlebnis. Gerade lese ich auf Empfehlung von Leo ein Stück, in dem es u.a. um einen Chinesen geht, der illegal in einem vietnamesischen Schnellrestaurant arbeitet und unter extremen Zahnschmerzen leidet. Grandios. Und erschreckend zugleich.
Mit seinen Stücken zählt er zu den deutschen Gegenwartsdramatiker*innen, die am meisten auf (internationalen) Theaterbühnen gespielt werden. „Die Frau von früher“ zum Beispiel wurde schon in 16 Sprachen übersetzt.
Jetzt muss ich erst einmal Leo von unserem anstehenden Besuch erzählen!
19.01.2021
Ich konnte mich einfach hinsetzen, aufmerksam zuhören und die Rechtschreibfehler Sache des Lektors sein lassen.
Der Text überrascht mich immer wieder. Die Rhythmik, die Intonation und Aussprache von Jana und Richard machen Wörter zu Waffen und entwaffnen zugleich. Wir lachen. Wir alle feiern das Stück, den Text, die kommende Zusammenarbeit.
Heute war Leseprobe. Da wir im Vorfeld den Originaltext nicht verändert oder gekürzt haben, musste ich nicht zittern, ob vor dem Druck der Textbücher (peinliche!!) Rechtschreibfehler übersehen wurden oder seltsame Umbrüche entstanden sind – die wahren Probleme für Dramaturg*innen.